Wie die Sterne ans Himmelszelt zurückkehrten

Letzten Freitag war Gott beim Teufel zu einem Spielchen eingeladen.

Gott kam zu spät. Er war vom Weg abgekommen – nicht zum ersten Mal. Er hatte Mühe, sich in dem dunklen Chaos zurecht zu finden, in dem der Teufel lebte. Diesmal hatte er wenigstens daran gedacht, die ewige Fackel mitzunehmen, die etwas Licht in die Dunkelheit brachte.

 

„Da bist du ja.“ Der Teufel begrüsste ihn mit einem schiefen Lächeln. „Heute etwas weniger verspätet als letztes Mal. Wenn du so weiter machst, dann wirst du in etwa zweihundert Jahren pünktlich sein.“

Mein Freund Hans

Thomas liess sich rücklings in den weichen Schnee fallen. Er schloss die Augen und ruderte ein paar Mal mit seinen Armen und Beinen. Das gab einen Abdruck im Schnee, wie wenn ein Engel sich hier zum Schlafen hingelegt hätte.

Thomas öffnete die Augen. Er schaute in den blauen Himmel hinauf, der so klar auf ihn herunterschien, dass Thomas die Augen ein wenig zukneifen musste, weil es ihn sonst blendete.

Er setzte sich auf und sah zu dem Schneemann hinüber, den er ganz alleine gebaut hatte. Zuerst hatte ihm seine kleine Schwester noch dabei geholfen, die grosse Kugel für den Bauch zu rollen. Aber plötzlich hatte sie aus einer Laune heraus das Rübchen für die Nase weit ins Feld hinausgeworfen und war nach Hause gerannt. Thomas hatte das Rübchen vergeblich gesucht; es war wohl unauffindbar in irgendeinem der hohen Schneehaufen versunken. Thomas war zuerst wütend, dann nur noch traurig. Schade, dass seine Schwester immer in den schönsten Momenten etwas kaputt machen musste. Er fragte sich, wie es wohl sein würde, wenn sie im Sommer auch in den Kindergarten eintreten würde, den Thomas seit letztem Jahr besuchte. Vielleicht würde sie dann ein wenig Vernunft annehmen.

Thomas hatte den Schneemann alleine fertig gebaut; ohne Rübchen, mit einem Stein als Nase, der sich nicht gut mit dem Schnee vertrug und immer wieder herunterfiel.

Sonst war Thomas ganz zufrieden mit dem Ergebnis. Ein schöner Schneemann war das geworden, fast so gross wie Thomas, mit einem dicken Bauch, wie Thomas’ Vater einen hatte, und einem kugelrunden Kopf, in dessen unterer Hälfte ein lachender Mund aus kleinen Kieselsteinen sass. Die Arme aus abgebrochenen Zweigen hielt der Schneemann in die Höhe, und er schaute so fröhlich in die Welt hinaus, wie das ein Schneemann ohne Nase an einem schönen kalten Wintertag nur tun konnte.

Es wurde Zeit nach Hause zu gehen. Thomas stand auf und klopfte sich den Schnee aus den Kleidern. Er warf ein paar Schneebälle ins Feld hinaus, winkte dem Schneemann einen Abschiedsgruss zu und machte sich auf den Weg.

Da fiel ihm aus heiterem Himmel das Rübchen mit einem leisen Plumpsgeräusch vor die Füsse. Er schaute auf und hielt sich zum Schutz gegen die blendende Sonne eine Hand vor die Augen. Hoch oben am Himmel sah er den Raben Hans davonfliegen.

Hans, sein Freund, den er in frühen Kindertagen gerettet hatte, als ein grosser getigerter Kater über den Raben herfallen wollte. Thomas hatte den Kater mit Steinwürfen vertrieben. Seither hatte Hans ein wachsames Auge auf Thomas und war oft zur Stelle, wenn Thomas in eine schwierige Lage geraten war.

Thomas lächelte stolz und winkte Hans zu, der als immer kleiner werdender schwarzer Punkt seinem Nest entgegenflog. So einen Freund hatte nicht jeder. Thomas klaubte das Rübchen aus dem Schnee, steckte es dem Schneemann mitten ins Gesicht und hüpfte vergnügt nach Hause.

 

  

© Jost Aregger - veröffentlicht in: Snezanas Lied. Neue Wintergeschichten aus der Schweiz, Verlag Sage und Schreibe 2017

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